lose Gedanken zu Hugo Vieira da Silvas „Posto avançado do progresso“ im Forum der Berlinale
Die Geschichte des Kolonialismus wird, wie der historische Rest, bis heute meist von den Siegern erzählt. Deshalb sind die Bücher voll mit Geschichten von Tatendrang und Abenteuerlust und verherrlichen oft auch die körperliche Kraft und Ausdauer ihrer Protagonisten.
Was passiert, wenn das Drängen kraftstrotzender Männer nach historischen Erlebnissen im feuchten Dschungelsand verendet, beschreibt Joseph Konrad in seinem Buch „Posto Avançado do progresso“, das sich der Portugiese Hugo Vieira da Silva als Vorlage für seinen gleichnamigen Film machte.
In Angola, ehemaliges Kolonialgebiet Portugals, verwandelt da Silva mit zwei angolischen Theatergruppen, nativen Stämmen und seinen beiden portugiesischen Hauptdarstellern Nuno Lopes und Ivo Alexandre das Buch in einen satten feuchten Fiebertraum: Üppige Dschungelpanoramen umranken die Figuren, verdecken den Himmel und bieten Raum für exotisches, spirituelles und wissenschaftliches Projizieren, bis die kurgastliche Tiefenentspannung der beiden weißen Herrschaften in Alkoholismus, geistiger Umnachtung und schließlich im Wahnsinn endet.

Die Anziehungs- und Strahlkraft der Körper und allgemein des Physischen tragen den Film bei aller Ereignislosigkeit. Denn eigentlich warten hier nur zwei Kolonialbeamte auf Elfenbeinlieferanten, die nicht kommen wollen. Mukele werden sie von den Schwarzen genannt, weil sie weiß sein, wie die Geister der Toten. Und so strahlend weiß laufen sie durch den Dschungel, versuchen ihre Untergebenen zum Arbeiten zu überreden, dabei aber an ihren Manieren festzuhalten und sich vom Sklavenhandel frei zu machen, der kurz zuvor noch die dominante Herrschaft der Portugiesen in Zaire begründet hatte.
Das Ende des Sklavenhandels stellt die Figuren des Films vor ein Problem: Wie kommen sie an ihr Elfenbein, ohne ihre Arbeiterhorde zu unterjochen und zu drillen? Sowohl aus Faulheit als auch im Bewusstsein ihrer körperlichen Unterlegenheit, scheuen sie die Antwort auf diese Fragen bald noch mehr als ihre Umgebung und fangen deshalb zaghaft, beinahe zärtlich an sich ihr hinzugeben um sich abzulenken. Majestätisch gleitet der fette weiße Körper ins sämige Flusswasser zu den planschenden Kindern des Stammes, ehrfürchtig betastet die weiße Hand Blätter, Dornen, flechtenbedeckte Baumrinden. Die Berührungsängste weichen, Vertrauen entsteht und beide Herren stehen bald schon vor einer noch quälenderen Frage. Wie lernen sie von den Wilden das Überleben und bewahren sich gleichzeitig wenigstens noch die Pose der geistigen Überlegenheit? Hier geraten die Geduld des weißen Egos und dessen Verstand bald an ihr Ende. Mit Menschlichkeit ist kein Geschäft zu machen. Aber können sie sich auf ihre späthumanistischen Werte beziehen, wenn sie im Dschungel intakte Gemeinden gegeneinander aufbringen und womöglich körperliche Gewalt androhen? Oder ist dieser feingeistige Posten ähnlich verloren wie ihr spärliches Waldhaus?
Als vorweggenommene Antwort auf diese weiße Farce stellt sich eine Stammesfrau als Heilige Johanna von Österreich vor, und der Name des schwarzen Vermittlers Makola ist auch Dombaxe, ein Kürzel von Don Sebastian. Beide tragen diese christlich-europäischen Namen erhobenen Hauptes vor sich her, und schüchtern so die Mukele mit ihren eigenen Waffen ein, ihrem kulturellen Rüstzeug. Gleichermaßen amüsiert wie irritiert von diesem Selbstbewusstsein stolpern und saufen sich die gestrandeten Portugiesen in Albträume und schließlich in den Tod und Elfenbein ist eben schlussendlich auch nur eine Sammlung großer Zähne.
Joseph Konrad war der Sezierer der menschlichen Innenwelten. Doch der Film braucht Bilder. Und da Silva’s Kameramann Fernando Lockett sucht sich den menschlichen Wahn im Dschungeldickicht, tastet die humiden Areale ab und stellt in vollen Totalen die Pracht des angolischen Waldgebietes aus, das hier in ein Korsett kolonialer Interessen gezwungen werden soll. Und wenn dann schwarze Männer und Frauen in höfischen Gewändern den verirrten Portugiesen in diesem Dickicht heimsuchen, dann ist das Ausdruck seines schlechten Gewissens ob dieses Gewaltakts.

Da Silva hebt die Schwächung des weißen Körpers hervor, um seine Kolonialismuskritik in Bildern auszudrücken. Mit Spielwut mimen Lopes und Alexandre die besoffenen Herren auf verlorenem Posten. Der eine wälzt sich ständig schwitzend, krankend an unterdrückter Libido, der andere kichert, albert und schwingt die fetten Arme zum Tanz im Staub. Dabei kontrastiert da Silva deren Langeweile und zunehmende Vereinsamung im Ausnahmezustand mit freudvollen Ritualen und alltäglichem Zusammensein der Stammesangehörigen. Dass diese Vergleiche nicht in Rassismen und neokolonialen Mitleidbekundungen münden, schafft da Silva, indem er konsequent die Haltung der Urbevölkerung Angolas annimmt. Es scheint manchmal als duldeten auch die Einwohner diese beiden Mukele lediglich weil sie auch einen Unterhaltungswert, wenn nicht gar Grund zur Belustigung, in ihren Alltag bringen. Denn im abgeschiedenen Dschungel sind die beiden Europäer längst keine Gefahr mehr für die vornehmlich jungen großgewachsenen Männer des Dorfes – Slapstick, weit vor seiner Zeit.
Das Latente und Subtile, mit dem da Silva die Gewalt des Kolonialismus erzählt, macht den Film zum Erlebnis. Expeditionen, Handel und Verbrechen liegen in diesem Landstrich so dicht beieinander wie Flora und Fauna im Wald und da Silva lässt die Untaten aus dem Waldbildern heraus metaphorisch zirpen, summen, krakeelen und fauchen, verwandelt jedes Greuel in einen Geist, ein Tier. Das klingt entspannend und wiegend für den Kinogast und bedrohlich für die Hauptfiguren. Damit trägt er den inneren Konflikt seiner Protagonisten nach außen, macht ihr Widersprüchliches Handeln für sie und uns durch Atmosphäre erfahrbar, wenn sie unter dem Zeichen des Humanismus zu Sklavenhandel und Mord aufgefordert sind. Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
Der Zuschauer ahnt längst, dass es eigentlich genau diese Erkenntnis ist, die den Leidenden Beamten quält, doch Dombaxe nennt es „das Fieber“. Und dieses Fieber suchte schon so manchen Befehlshaber heim. Unter da Silvas Regie gehen die Improvisationen seiner Hauptdarsteller in allzumenschlichen Darstellungen dieser Wandlungen auf, und Locketts Kamera fährt ruhig um sie herum und tastet den Spielraum ab. Wie es dabei um den Regisseur als Befehlshaber bestellt war?

Bei aller Elegie und dekadenter Bildfülle drängt sich nach dem Film nicht nur diese Frage auf, sondern auch, wie diese Kolonialkritik produziert wurde. Denn da wo die fiktiven Figuren ihrem Wahn verfallen, stehen in weißen Kostümen zwei weiße Männer, umringt von Crew und Technik, die teilweise in Angola rekrutiert wurde. Dort wo damals das Elfenbein zu einem Spottpreis zu haben war, sind heute die Produktionsverhältnisse besonders günstig, um Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Wenn man dabei noch bedenkt, dass die deutsche Austeritätspolitik daran Schuld ist, dass Europa an seinen südlichen Rändern gerade verarmt, ist der Kreis perfekt.
So kommt es also 500 Jahre später zu einer neokolonialen Reflexion: Da Silva spricht in Berlin von der zunehmenden Verarmung der Portugiesen, die aus misslicher Lage fliehen und in Angola/Kongo versuchen wieder Geschäfte und Leben aufzubauen – weil es billiger ist, sicherlich. Wenn man da Silva fragte, wie die konkreten Produktionsverhältnisse gewesen seien, antwortete er, die Verhältnisse seien von der Vergangenheit beeinflußt gewesen, aber Löhne seien überdurchschnittlich bezahlt worden, für angolische Verhältnisse. Doch das heißt nichts.
Auf der Berlinale läuft der Film als dreifache portugiesische Produktion, das heißt die Mittel kommen mehrheitlich aus Portugal, wohin wohl auch die eventuellen Gewinne wieder zurückfließen werden. Wer also von der Aufarbeitung profitiert ist einmal mehr der, der die Geschichte erzählt. Geschichte wird also nicht nur von ihren Gewinnern geschrieben, sondern auch verfilmt. Das muss sich ändern. Und zum Glück gibt es Filme wie „Post avançado do progresso“, die einem das klar machen.